Dann würde ja niemand mehr arbeiten – wie dieser Druck unsere Gesellschaft zerstört und beraubt

Wann immer es um Bedingungsloses Grundeinkommen (BGE) oder Veränderung des Arbeitslosengeldes geht, offenbart die Diskussion ums Thema Arbeitsmarkt (wie das schon klingt *grmpf*) einen gefährlichen Druck. Und dieser zerstört unsere Gesellschaft und beraubt uns einiger wertvoller Ressourcen.

Gehässigkeit, Angst und Neid wohin man schaut

„Wenn keiner müsste, würde ja niemand mehr arbeiten.“ DIE Killerphrase, die meist schon innerhalb weniger Sätze oder Kommentare auftaucht. Die armen Unternehmer, die keine qualifizierten Arbeitskräfte finden, wo sie doch so gut zahlen (Mindestkollektiv, weil sie müssen). Wer arbeiten will, der findet einen Arbeitsplatz, da muss man halt Abstriche machen; alle anderen sind sowieso Schmarotzer, Parasiten, faule Säcke und schlimmer.

Wirklich? Abstriche?

Wie mich diese Aussagen aufregen. Zum einen zeigen sie, dass man einfach mal das Schlechteste von seinen Mitmenschen annimmt. Und zum anderen übersehen sie das tatsächliche Übel: Das System Arbeitsmarkt wie es jetzt ist, ist weder zeitgemäß noch human.

Was sagt es über ein System aus, wenn Menschen hineingezwungen werden müssen?

Und ja, ich nehm mich bei der eigenen Nase. Denn auch ich bin in dieser Gesellschaft aufgewachsen und mit dieser Geisteshaltung. Vor einigen Jahren hab ich da noch fröhlich mitgetönt.

Bis mich PTSD, Burnout und Depression erfolgreich vom Arbeitsmarkt genommen haben. Der Weg der Besserung führte unweigerlich dazu, das aktuelle System zu hinterfragen. Aber dazu später.

Der Kampf um die Daseinsberechtigung – Existenzangst in Vollzeit

Gleich vorweg: Wer wirklich nicht will, arbeitet schon jetzt nicht. Menschen mit weniger Versorgung als der Existenzgrundlage in Jobs zu zwingen, ändert daran gar nichts. Es setzt nur all jene völlig unnötig unter Druck, die sowieso ständig um ihre Daseinsberechtigung kämpfen. Jene, die auch bei Vollzeit grade mal so über die Runden kommen (Stichwort Erwerbsarmut). All jene, die vielleicht ganz gut verdienen, aber diesen Druck und diese Angst trotzdem nicht aus dem Kopf bekommen. All jenen, denen diese Gehässigkeit gegenüber Menschen ohne unselbstständigen Arbeitsplatz eine grundlegende Existenzangst in den Kopf gepflanzt hat.

Bin ich nur etwas wert, wenn ich einen (anerkannten) Arbeitsplatz habe?

Trotz Job in der Sinnkrise

Wenn Arbeitsplatz und Job zum Wertmaßstab wird, ist es leicht, darin den ganzen Lebensinhalt zu sehen. Gut, das wollen die „alle müssen arbeiten“-Vertreter*innen doch. Ach tatsächlich? Herzlich willkommen in der Sinnkrise.

Diese Erwartungshaltung bietet wundervollen Nährboden für psychische Erkrankungen wie Burnout. Die Zahlen der Betroffenen steigen, ebenso wie der volkswirtschaftliche Schaden. Schon 2010 galten laut dem Österreichischen Bundesverband für Psychotherapie eine Million Österreicher*innen als Burnout-gefährdet (in diesem File nachzulesen).

Dieser Druck zerstört Leben und unsere Gesellschaft!

Aus realer Existenzangst, weil das Geld hinten und vorne nicht reicht und kaum bis keine Teilhabe am öffentlichen Leben möglich ist, und der Existenzangst durch den wahrgenommenen Druck landen Menschen im Überlebensmodus. Angst und Stress bestimmen den Alltag.

Ein unglaublich erstrebenswerter Grundzustand für unsere Gesellschaft, oder? Und was entsteht daraus?

Neid um den Arbeitsplatz. Neid um Zuwendungen aus öffentlicher Hand, die als Almosen gesehen werden. Angst, den gerade noch anerkannten Status zu verlieren.

Am untersten Ende der Nahrungskette wird um jeden Krümel gerauft. Weiter oben kämpft man um jeden Preis gegen den Abstieg. Jeder gegen jeden ist das Motto.

Das Ergebnis? Der nahezu weltweite Rechtsruck bei Wahlen kommt nicht von ungefähr. Menschen, die ständig von Angst begleitet werden, sind dankbar für Feindbilder.

Wir rauben unsere Menschlichkeit und unsere Kreativität

Dabei leben wir in einer Zeit des Wohlstands. Sowohl materiell als auch ideell. Was die erste Phase der Corona-Krise hierzulande gezeigt hat, war die Menschlichkeit und der Gemeinschaftssinn. Ok, nach der ersten Panik, die Fotos von leeren Supermarktregalen ausgelöst hatte. Oh, Überlebensmodus und Existenzangst – auch hier. Sobald klar war, dass wir uns nicht um die letzte Klopapierrolle werden prügeln müssen, entstanden Nachbarschaftshilfen, CheckUps für gefährdete und alleinstehende Personen, Fensterkonzerte und mehr.

Und wie viele Ideen zur Selbstversorgung, zum kreativen Umgang mit Vorhandenem (Stichwort DIY) und Lösungen für anstehende Probleme dieser Welt sind in den ersten Lockdown-Phasen entstanden?

Es scheint fast so, als würden Menschen, die versorgt sind, ohne dafür beschämt zu werden, UND die Zeit und Raum zur freien Gestaltung bekommen, anfangen, Ideen zu entwickeln. Ideen, die allen zugute kommen. Aber Moment.

„Wenn keiner müsste, würde ja niemand mehr arbeiten“ vs Menschen wollen etwas schaffen

Das ist doch die These, nicht wahr? Diverse Pilotprojekte rund ums Bedingungslose Grundeinkommen zeigen das Gegenteil. Auch Versuche in Firmen, die Arbeitszeit bei gleichem Einkommen zu reduzieren, haben durchwegs positive Ergebnisse gezeigt. Der Zeitgeist und gesellschaftliche Druck haben bei vielen dennoch dazu geführt, dass sie nach dem Pilotprojekt nicht weitergeführt wurden. Denn dieses „dann würde ja niemand mehr arbeiten“ hörte im Umfeld einfach nicht auf.

Meine persönliche Erfahrung aus dem Bereich der gesundheitlich erzwungenen Auszeit wie durch ein Burnout: Nach einer anfänglichen Erholungsphase entwickelten die meisten Betroffenen neue, kreative Interessen. Sie eigneten sich Wissen an, fingen an, Dinge zu kreieren und zu produzieren.

Selbst Pensionisten, die 40, 45, 50 Jahre gearbeitet haben, und sogar im Auge der Gesellschaft endlich frei machen dürften, suchen sich oft eine Beschäftigung. Ehrenämter, Vereine, und mehr leben von diesem Einsatz.

Aber wer macht dann die unbeliebten Jobs?

Ebenso die ständige Angst, dass niemand mehr unbeliebte Jobs machen würde. Aber was macht Jobs denn unbeliebt? Meist ist es nicht der Arbeitsbereich selbst. Es sind schlechte Bezahlung, mangelnde Wertschätzung in der Gesellschaft, respektloser Umgang von Vorgesetzten, keine Möglichkeiten zur Entfaltung, als sinnlos empfundene Vorgaben. Vorurteile aus dem eigenen Empfinden, die keinen Raum für anderes lassen.

Hand aufs Herz: Auf welche Berufsgruppen schaust du eher hinab? Welchen Job glaubst du kann man gar nicht gern machen?

Das führt zu Buchhalter*innen, die sich nicht trauen zuzugeben, wie sehr sie für ihre Zahlenschubserei brennen. Angestellte bei der Müllabfuhr oder Putzmagier*innen, die ihren Stolz über ihre Arbeit beschämt hinter niedergeschlagenen Augen verstecken. Vollzeiteltern, die sich innerlich gegen den „Schmarotzer“-Vorwurf wappnen und Sterbebegleiter*innen, denen das „also ich könnte das nicht“ raumfüllend entgegenschallt.

Und selbst für die Bereiche, die dann vielleicht tatsächlich übrigbleiben: Warum die Automatisierung und künstliche Intelligenzen nicht genau dafür einsetzen?

Menschen geben ihrem Leben den Sinn, den sie bereits in sich tragen

Utopie? Träumerei? Idealismus? Sag du es mir. So viele Selbstständige, Aussteiger, Künstler und Kreative leben es jetzt schon. So viele, die ihr Leben in den Dienste der Wohltätigkeit stellen; die dort anpacken, helfen und unterstützen, wo es notwendig ist und Wege finden, das möglich zu machen; die nach Feierabend und in Garagen und Hinterhöfen tüfteln und an Lösungen für alltägliche Probleme arbeiten.

Sie folgen alle ihrer inneren Stimme. Den missgünstigen Unkenrufen zum Trotz. Entgegen jener, die ähnliche Wege missbrauchen und dadurch vieles erschweren. Sie folgen dem Ruf ihrer Seele, weil sie gar nicht anders können. Sie leben Werte, die über Neid und Missgunst und Angst stehen.

Sie zeigen der Welt, wie sie sein kann. Sie zeigen der Menschheit, dass dieser Weg funktioniert.

Und deshalb behaupte ich: Jenseits der Verurteilung, jenseits der Existenzangst, jenseits des Überlebenskampfes existiert Menschlichkeit, Ideenreichtum, Verbundenheit und Gemeinschaft, Wohlbefinden und Freude.

Lasst uns diese neue Welt einfach jetzt schon leben

Und by the way: Du kannst das auch. Du musst dazu nicht die nächste Mutter Theresa werden, oder dein Leben hinwerfen und plötzlich Straßenhunde in Bulgarien retten. Wenn du erst die Stimme deines Herzens vernimmst, den Ruf deiner Seele hörst, wirst du Wege finden, diese deine Werte im Alltag zu leben – und wirst dadurch zum Vorbild für dein Umfeld.

Unterschätze niemals den Ripple-Effekt 🙂

Und ja, manchmal brauchst du vielleicht etwas Unterstützung und Begleitung, um den Kern deiner Persönlichkeit freizulegen. Um wieder soviel Selbstbewusstsein zu erlangen, dich aus dem ganzen Glaubensgespinst freizustrampeln. Wieder zurück in deine eigene Kraft zu kommen. Dann weißt du, wo du mich findest.


p.s.: Danke an Judith Peters von Sympatexter für diesen Aufruf zur Rant-Blogparade!

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Dieser Beitrag hat einen Kommentar

  1. Birgit Buchmayer

    Liebe Veronika, danke für deinen Artikel. Super wichtiges Thema! Ich denke, wenn jede oder jeder die Freiheit hat das zu tun war er/sie liebt und mit Leidenschaft macht uns alle die Qualitäten einbringt die da sind, dann erleben wir alle Reichtum pur. Und das auf allen Ebenen, finanziell, Freude und eine funktionierende Gemeinschaft. Lieben Gruß, Birgit